Zahnkaries: Ätiologie, Anatomie, Klassifikation, klinisches Bild, Therapie

Karies ist ein infektiöser Prozess der Demineralisation und Zerstörung der Zahnhartsubstanz.

Ätiologie

Karies wird durch das Zusammentreffen mehrerer Faktoren hervorgerufen: die Plaque-Mikroflora, leicht fermentierbare Nahrungskohlenhydrate, die Kariesanfälligkeit der Zähne und eine lange Einwirkungsdauer.

Mikroorganismen besiedeln die Zahnoberflächen, die nicht der Reibung von Zunge, Wangen und Nahrungsfasern ausgesetzt sind, und bilden einen Biofilm, der auch Plaque oder Zahnbelag genannt wird. Kariöse Läsionen entstehen nur an Stellen, an denen sich Plaque ansammelt.

Häufiger und längerer Verzehr von leicht fermentierbaren Kohlenhydraten erhöht den Anteil der kariogenen Mikroflora im Biofilm, die Nahrungskohlenhydrate schnell zu organischen Säuren verstoffwechseln und auch bei einem niedrigen pH-Wert überleben kann. Dazu gehören in erster Linie Streptococcus mutans und Laktobazillen, aber auch Streptococcus sobrinus, Streptococcus oralis, Actinomyces israelii, Actinomyces gerencseriae, Bifidobakterien und Prevotella. Streptococcus mutans synthetisiert auch intra- und extrazelluläre klebrige Polysaccharide (Glykane und Fruktane), die zu einer längeren Haftung der Bakterien auf der Zahnoberfläche beitragen.

Die Zähne werden ständig mit dem mineralhaltigen Speichel gespült. Aufgrund seiner Pufferkapazität sorgt der Speichel für die Aufrechterhaltung eines neutralen pH-Werts in der Mundhöhle. Bei neutralen pH-Werten (≈7) befinden sich die Prozesse der Demineralisation (Auflösung von Kristallen der Mineralien) und Remineralisation (partielle oder vollständige Wiederherstellung von Kristallen der Mineralien) von Zahnschmelz und Dentin im Gleichgewicht.

Der Stoffwechsel durch Bakterien von Nahrungskohlenhydraten (Glukose, Fruktose, Saccharose, Maltose u. a.) führt zur Säureakkumulation und pH-Senkung.

Sinkt der pH-Wert tief genug (5,2–5,5), beginnen sich die Mineralien aus der Zahnhartsubstanz aufzulösen. Der allmähliche Verlust von Mineralien infolge der Auflösung durch Säure (Demineralisation) ist der Hauptprozess bei der Kariesentstehung.

Je häufiger Kohlenhydrate mit der Nahrung in die Mundhöhle gelangen und je länger die Nahrung auf der Zahnoberfläche verbleibt, desto mehr Säure produzieren die Bakterien, der pH-Wert sinkt und die Demineralisation des Zahnschmelzes schreitet voran. Sobald die Bakterien das Dentin erreichen, setzen sie nicht nur ihre Säureproduktion fort, sondern beginnen auch mit ihrer proteolytischen Aktivität. Als Folge wird der organische Bestandteil (Kollagen) des Dentins zerstört.

Das Voranschreiten der Karies kann verlangsamt oder gestoppt werden, indem die Häufigkeit und Dauer von Säureangriffen verringert werden, z. B. durch Verbesserung der Mundhygiene oder Einschränkung des Zuckerkonsums. Fluorverbindungen (Fluoridverbindungen) fördern Remineralisationsprozesse und hemmen die Demineralisation, verringern die Löslichkeit von Zahnschmelz und erhöhen seine Widerstandsfähigkeit gegen Säureangriffe.

Klassifikation der Karies

Nach Tiefe der Läsion (radiologische Klassifikation):

  • E1: Die äußere Schmelzhälfte ist betroffen.
  • E2: Die ganze Schmelzschicht ist betroffen.
  • D1: Das äußere Dentindrittel ist betroffen (oberflächliche Dentinkaries).
  • D2: Das äußere und mittlere Dentindrittel sind betroffen (mittlere Dentinkaries).
  • D3: Das äußere, mittlere und innere Dentindrittel ohne Eindringen in die Pulpakammer sind betroffen (tiefe Karies).

3D-Modelle von Karies nach Tiefe der Läsion:

Klassifikation nach Black (nach Lokalisation der Läsion):

  • Klasse I: in natürlichen Vertiefungen (Grübchen und Fissuren auf der Okklusalfläche der Seitenzähne, blind endende Grübchen auf Schneide- und Eckzähnen).
  • Klasse II: auf den Berührungsflächen (Approximalflächen) der Seitenzähne.
  • Klasse III: auf den Berührungsflächen (Approximalflächen) der Vorderzähne, Schneidekante nicht beteiligt.
  • Klasse IV: auf den Berührungsflächen (Approximalflächen) der Vorderzähne, Schneidekante beteiligt.
  • Klasse V: auf der Zahnhalsfläche.

3D-Modelle von Karies nach Lokalisation der Läsion:

Histologische Klassifikation (nach Art der betroffenen Zahnsubstanz):

  • Schmelzkaries
  • Dentinkaries
  • Wurzelkaries

Nach Art der Entstehung:

  • Primärkaries: entsteht bei intakten Zähnen ohne Restaurationen.
  • Sekundärkaries: Wiederauftreten eines kariösen Prozesses nach einer Zahnbehandlung.

Anatomie

Kariöse Läsionen beginnen immer auf der Zahnoberfläche, die in direktem Kontakt mit der Mundhöhle steht: auf der Schmelzoberfläche, dem freiliegenden Wurzelzement und dem freiliegenden Dentin. Häufiger entsteht Karies an typischen Stellen, an denen sich Plaque ansammelt: in Grübchen und Fissuren, auf den Seitenflächen der Zähne, auf der Zahnhalsfläche. Bei hoher Aktivität des kariösen Prozesses und unzureichender Mundhygiene kann Karies die „Immunzonen“ – Glattflächen, Äquator und Höcker – befallen.

Schmelzkaries: Im frühen Stadium, nach Entfernung der Plaque und Trocknung des Zahns, erscheint der Schmelz makroskopisch intakt, mit einer fokalen Demineralisation in Form eines mattweißen Flecks (E1). In einem späteren Stadium (E2) ist bereits ein weißer Fleck auf der feuchten Schmelzoberfläche sichtbar. Der Fleck kann sich mit Lebensmittelfarbstoffen in verschiedenen Brauntönen verfärben. Im Zahnschmelz hat die Läsion die Form eines Kegels, dessen Spitze in Richtung der Schmelz-Dentin-Grenze (SDG) weist. Wenn der Prozess die SDG erreicht und in das Dentin eindringt, folgt die weitere Ausbreitungsrichtung der Läsion dem Verlauf der Dentinkanälchen.

Dentinkaries: Der demineralisierte Zahnschmelz kann im betroffenen Bereich intakt bleiben (pseudointakter Zahnschmelz), was das Eindringen von Bakterien in die Demineralisationszone verhindert. Makroskopisch sieht ein solcher Defekt wie eine pigmentierte Fissur oder ein Fleck auf der Schmelzoberfläche aus, worunter die dunkleren Konturen des betroffenen Dentins sichtbar sein können.

Bei einem Verlust von etwa 30-40 % der Mineralien in der Läsion ist der Zahnschmelz so porös und spröde, dass es zu seiner Brüchigkeit und einer Kavitätenbildung führen kann. Bakterien dringen tief in den Defekt ein, unter dem Einfluss ihrer Proteasen kommt es zu einer Nekrotisierung des demineralisierten Dentins (Zone der bakteriellen Penetration), und die Demineralisationszone breitet sich tiefer in Richtung der Pulpa aus. Reaktive Sklerose des Dentins tritt um den Demineralisationsherd herum auf. Das äußere (D1), mittlere (D2) und innere (D3) Dentindrittel sind nacheinander betroffen. Makroskopisch erscheint die aktive Läsion als eine Kavität, die mit weichem, klebrigem, gelblich-braunem nekrotischem Dentin gefüllt ist, das sich durchs Abschaben leicht entfernen lässt. Im arretierten Herd ist das betroffene Dentin dichter und dunkler.

Die Wurzelkaries entsteht in Form einer Kavität mit erweichtem Dentin auf der Zahnwurzeloberfläche bei Zahnfleischrückgang und freiliegendem Wurzelzement. Ihre Entstehung beruht auf den gleichen Mechanismen wie die der Kronenkaries.

Gingivarezession und Zementkaries im Bereich des oberen Eckzahns
Gingivarezession und Zementkaries im Bereich des oberen Eckzahns: 3D-Modell

Die Sekundärkaries entsteht als lineare Verfärbung, Fleck oder Kavität an der Grenze zwischen der Zahnsubstanz und der Restauration mit einem undichten Randschluss. Diese Läsionsart besteht aus einem oberflächlichen Demineralisationsbereich an der Grenze zwischen dem Zahnschmelz und der Restauration sowie aus einer Wandläsion zwischen der Restauration und der Kavität. Die oberflächliche Läsion erstreckt sich im Verlauf der Schmelzprismen in Richtung der SDG und dann im Verlauf der Dentinkanälchen. Die Wandläsion ist eine schmale, schlitzförmige Kavität, die sich weiter im Verlauf der Dentinkanälchen und nach lateral erstreckt.

Sekundärkaries eines Unterkiefermolaren
Sekundärkaries eines Unterkiefermolaren: 3D-Modell

Diagnostik

Hauptmethoden:

  • Visuelle Inspektion: Vorhandensein sichtbarer Flecke oder Kavitäten auf den für die Inspektion zugänglichen Flächen. Bei Approximalkaries kann die Läsion von der Okklusalfläche aus als grauer Schatten sichtbar sein, der durch den intakten Zahnschmelz durchscheint. Zur besseren visuellen Diagnostik wird empfohlen, die Zähne von Plaque zu reinigen und zu trocknen.
  • Die Perkussion des betroffenen Zahns ist schmerzfrei.
  • Sondierung: Bestimmung der Tiefe und des Reliefs der Läsion, schmerzlos bei Schmelzkaries, schmerzhaft bei Sondierung der SDG bei mittlerer Karies und des Bodens der kariösen Kavität bei tiefer Karies.

Zusätzliche Methoden:

  • Röntgenografie: Aufhellung auf dem Röntgenbild im Schmelzbereich (E1, E2), im äußeren, mittleren oder inneren Dentindrittel (D1-D3). Kontaktradiografie, Radiovisiografie, Bissflügelradiografie (zur Diagnostik von Okklusal- und Approximalkaries), Orthopantomografie (OPG), Kegelstrahl-Computertomografie (CBCT) werden eingesetzt.
  • Thermischer Test: Luftstrom, Kältespray, erwärmte Guttaperchastangen werden verwendet. Die Reaktion auf den Temperaturreiz verschwindet sofort oder innerhalb weniger Sekunden nach Beendigung seiner Wirkung.
  • Fiberoptische Transillumination (FOTI): Durchleuchtung der Zähne durch den Kontaktpunkt, die kariöse Läsion erscheint als dunkler Fleck.
  • Quantitative Laserfluoreszenz: Gesunde und kariös veränderte Zahnsubstanz fluoresziert mit unterschiedlichen Lichtwellenlängen, wenn sie mit Laserlicht bestrahlt wird.
  • Elektrische Widerstandsmessung: Demineralisierte Zahnsubstanz hat einen niedrigeren elektrischen Widerstand als gesunde Zahnsubstanz (diese Methode ist für Okklusalflächen nur eingeschränkt geeignet).
  • Temporäre Separation von Zähnen mit Gummiringen (zur Visualisierung von approximalen Läsionen).
  • Verfärbung: Demineralisierter Zahnschmelz und denaturiertes Dentinkollagen absorbieren Farbstoff im Gegensatz zu gesunder Zahnsubstanz.

Symptome

Schmelzkaries (E1, E2) verursacht keine Beschwerden, der Patient kann sich über den ästhetischen Mangel Sorgen machen. Klinisch erkennbar ist ein weißer oder pigmentierter Fleck auf dem Zahnschmelz.

Dentinkaries (D1-D3), Wurzelkaries, Sekundärkaries: Es können keine Beschwerden auftreten, der Patient kann sich über eine Kavität oder einen ästhetischen Mangel, kurzzeitige lokalisierte Zahnschmerzen durch chemische, thermische oder mechanische Reize, festsitzende Essensreste und Schwierigkeiten bei der Verwendung von Zahnseide beschweren. Klinisch lassen sich Pigmentierungen der Grübchen oder Fissuren, Ränder alter Restaurationen, Einklemmungen der Sonde (Klasse I nach Black, Sekundärkaries), grauer Schatten unter dem Randwulst, Entzündungen der dem betroffenen Zahn anliegenden Interdentalpapille, Essensreste im Interdentalraum (Klasse II), dunkle Flecke bei Durchleuchtung der Zähne (Klasse II, III), sichtbare kariöse Kavitäten mit erweichtem Dentin (Klasse I-V, Wurzelkaries) erkennen.

Therapie

Schmelzkaries: Bei kavitätenfreien Defekten werden Remineralisationstherapie, Infiltrationsmethode, Korrektur der häuslichen Mundhygiene, Empfehlungen zur rationellen Ernährung, Verlaufskontrolle angewendet.

Dentinkaries, Wurzelkaries, Sekundärkaries: Zahnpräparation und Füllung der kariösen Kavität mit dentalen Füllungsmaterialien.

FAQ

1. Welche Mikroorganismen verursachen die Kariesbildung?

Die wichtigsten kariogenen Mikroorganismen sind Streptococcus mutans, Lactobacilli, Actinomyces. Sie bilden einen Biofilm (Plaque) und sind in der Lage, bei niedrigen pH-Werten zu überleben.

2. Was ist der Unterschied zwischen Schmelzkaries und Dentinkaries?

Schmelzkaries ist das Anfangsstadium, das sich durch einen weißen oder pigmentierten Fleck äußert.
Dentinkaries geht mit der Zerstörung des Dentins und der Bildung eines Hohlraums einher.

3. Was sind die wichtigsten Behandlungsmethoden von Karies?

• Im Stadium des weißen Flecks: Remineralisation.
• Bei Dentinläsionen: Präparation und Füllung.
• Bei komplizierter Karies (Pulpaläsionen): endodontische Behandlung.

4. Karies und Pulpitis: Was sind die Unterschiede?

Karies ist eine Schädigung der Zahnhartsubstanz (Zahnschmelz und Dentin) durch die Einwirkung von Säuren, die von Plaque-Mikroorganismen produziert werden. Im Frühstadium kann Karies asymptomatisch verlaufen, im Spätstadium kann sie Schmerzen bei der Berührung mit kalten oder heißen Temperaturen oder bei Süßem verursachen.

Pulpitis ist eine Komplikation der Karies, bei der sich eine Entzündung der Zahnpulpa (Gefäß-Nerven-Strang) entwickelt. Die Pulpitis geht mit starken, oft ausstrahlenden Schmerzen einher, die spontan und ohne äußere Reize auftreten können.

Die wichtigsten Unterschiede:

1. Lokalisation:
• Karies betrifft den Zahnschmelz und das Dentin.
• Pulpitis betrifft die Zahnpulpa.

2. Symptome:
• Karies: Kurzzeitige Schmerzen treten nur auf, wenn sie Reizfaktoren (Kälte, Hitze, Süßes) ausgesetzt sind.
• Pulpitis: Bei Temperaturreizen treten lang anhaltende (länger als 5 Sekunden) Schmerzen auf, spontane Schmerzen, Schmerzausstrahlung sind möglich.

3. Therapie:
• Karies: Präparation und Füllung, Remineralisationstherapie.
• Pulpitis: Wurzelkanalbehandlung (endodontische Behandlung).

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