Irreversible Pulpitis: Ätiologie, Anatomie, klinisches Bild und Therapie

Irreversible Pulpitis ist eine Entzündung der Zahnpulpa, die nach Beseitigung der Ursache nicht abklingt.

Ätiologie

Die Hauptursache der Pulpitis ist das Eindringen eines kariösen Prozesses in die Pulpa. Sie kann auch durch ein Zahntrauma (mechanisches Trauma, okklusales Trauma, orthodontische Zahnbewegung), iatrogene Faktoren (Präparation ohne Kühlung, schlechte Isolierung des Arbeitsfeldes, versehentliche Pulpaeröffnung, Verwendung toxischer Einlagen und Restaurationsmaterialien) verursacht werden.

Mechanismus der Pulpaschädigung bei irreversibler Pulpitis

Bei mikrobieller Invasion der Pulpa werden entzündliche Abwehrmechanismen aktiviert. Es kommt zur Ansammlung von Neutrophilen und zur Akkumulation von Immunzellen. Neutrophile wandern von der Pulpaseite in die angrenzenden Dentinkanälchen-Mündungen und setzen Sauerstoffradikale, lysosomale Enzyme und Stickstoffoxid frei, wodurch die Gewebezerstörung gefördert wird. Die Freisetzung proinflammatorischer Neuropeptide führt zu einer Gefäßerweiterung und einer erhöhten Gefäßwandpermeabilität. Dies führt zum Austritt von Flüssigkeit aus dem Lumen der Blutgefäße in das Gewebe.

Das Exsudat ist zunächst serös, dann serös-eitrig und eitrig. Es kommt zu einem Druckanstieg im Gewebe und zur Entwicklung eines Herdes der Pulpanekrose. Der Nekrosebereich ist von einer Ansammlung neutrophiler Granulozyten umgeben, die Bakterien phagozytieren, sowie von zellfreiem Gewebe mit Zeichen eines teilweisen Zerfalls. Das umgebende Gewebe zeigt das Bild einer chronischen Entzündung: Makrophagen, Fibroblasten, Mast- und Schaumzellen. Selbst ein begrenzter Nekrosebereich ist ein Hinweis auf den Übergang von der reversiblen in die irreversible Pulpitis. Der ursprüngliche Nekrosebereich breitet sich langsam tiefer apikal aus.

Infolge der Entzündung kann es zu einer eitrigen Einschmelzung der Pulpa und ihrer Nekrose kommen, oder zum Übergang des akuten Prozesses in den chronischen, wenn das Exsudat spontan abfließt.

Bei chronischer Pulpitis sind proliferative Veränderungen vorherrschend: Das entzündliche Ödem bildet sich zurück und die fibrösen Elemente wuchern vermehrt.

Mechanismus der Schmerzentstehung

Entzündungsmediatoren wie Bradykinin und Histamin aktivieren C-Nervenfasern. C-Fasern sind nicht myelinisiert, haben eine niedrige Nervenleitgeschwindigkeit, einen kleineren Durchmesser und eine höhere Reizschwelle als Aβ-Fasern. Sie liegen tiefer und werden hauptsächlich durch Wärme aktiviert und verursachen dumpfe, nagende, quälende, lang anhaltende, manchmal diffuse Schmerzen. Bei Patienten mit symptomatischer irreversibler Pulpitis kann Kälte zu einer Gefäßverengung und einem Druckabfall in der Pulpa führen, was eine vorübergehende Schmerzlinderung bewirken kann. Die C-Fasern unterscheiden sich von den Aβ-Fasern auch durch ihre Fähigkeit, bei Gewebehypoxie ihre funktionelle Integrität zu bewahren und im Verlauf einer Entzündung über einen längeren Zeitraum weiter zu funktionieren. Die C-Faser-Reaktion zeigt, dass die Schädigung der Pulpa irreversibel ist.

Anatomie

Je nach ätiologischem Faktor kann der betroffene Zahn folgende Merkmale aufweisen:

  • eine kariöse Kavität, die in die Zahnpulpa eindringt.
  • Zahnrestaurationen in der Nähe der Pulpakammer oder dem Pulpagewebe direkt anliegend.
  • Zahnrestaurationen mit Anzeichen der Undichtigkeit (Defekte, Risse in der Restauration, Randpigmentierung, Sekundärkaries).
  • Traumaanzeichen (Risse, Absplitterungen im Zahnschmelz und Dentin, Freilegung der Pulpa).

die Gefäße herum können kleine Blutungen auftreten. Eitriges Exsudat findet sich zunächst in Form einer lokalen Ansammlung und breitet sich dann auf die gesamte Kronen- und Wurzelpulpa aus. Die Pulpa wird grau-rot oder grau gefärbt.

Ödeme und Hyperämie der Pulpa bei akuter irreversibler Pulpitis
Ödeme und Hyperämie der Pulpa bei akuter irreversibler Pulpitis: 3D-Modell

Bei einem chronischen Prozess wird die Pulpa durch Granulationsgewebe und anschließend durch dichtes, grobfaseriges und weißliches Narbengewebe ersetzt.

Ersatz der Pulpa durch Narbengewebe bei chronischer irreversibler Pulpitis
Ersatz der Pulpa durch Narbengewebe bei chronischer irreversibler Pulpitis: 3D-Modell

Klassifikation

  • Akute irreversible Pulpitis.
  • Chronische irreversible Pulpitis.

Diagnostik

  • Die Erhebung von Beschwerden und Anamnese ist sehr wichtig (Vorliegen, Art und Lokalisation der Schmerzen, Dauer der Schmerzattacken, Vorliegen/Fehlen von „lichten“ Intervallen, schmerzauslösende und schmerzlindernde Faktoren, vor kurzem erfolgte Zahnbehandlungen, Traumata).
  • Die Perkussion des Zahns ist schmerzfrei oder fragwürdig.
  • Die Palpation der Umschlagfalte ist schmerzfrei.
  • Thermischer Test: Ein Kälte- und/oder Wärmereizfaktor verursacht eine Schmerzattacke, die nach dem Entfernen des Reizes nicht abklingt. Wenn die Pulpa stark betroffen ist, kann es vorkommen, dass die Reaktion auf Kältereize fehlt, jedoch die Reaktion auf Wärmereize vorliegt.
  • Elektrischer Pulpatest: Zähne mit irreversibler Pulpitis haben eine höhere elektrische Reizschwelle als Zähne mit gesunder Pulpa oder reversibler Pulpitis.
  • Aufbissprobe: negativ.
  • Selektive Anästhesie wird zur Bestimmung des betroffenen Zahns bei der Schmerzausstrahlung und zur Differenzierung von nicht odontogenen Schmerzen verwendet.
  • Röntgenografie (intraorale Kontaktradiografie, Radiovisiografie, Orthopantomografie, Kegelstrahl-Computertomografie): kariöse Kavität, Restauration oder traumatischer Defekt, die der Pulpakammer anliegen/in die Pulpakammer eindringen, meist keine Veränderungen in der periapikalen Region. Wenn der Prozess voranschreitet, kann eine Verdickung des Wurzelhautraums erkennbar sein.

Symptome

Bei akuter Pulpitis leidet der Patient unter „spontanen“ anfallsartigen Schmerzen, die unabhängig von äußeren Reizen spontan auftreten. Die Häufigkeit und Dauer der Schmerzattacken und der „lichten“ schmerzfreien Intervalle schwanken im Laufe der Zeit. Im Frühstadium wechseln sich kurze Schmerzattacken (innerhalb von Minuten bis Stunden) mit langen schmerzfreien Intervallen (innerhalb von Stunden bis Tagen) ab. Mit dem Voranschreiten des Prozesses nehmen die Häufigkeit und Dauer der Schmerzattacken zu. Die Schmerzen treten häufig nachts auf. Die Schmerzen sind stumpf, nagend, quälend, lang anhaltend, manchmal brennend und pulsierend, sie können sehr stark sein und unerträglich werden. Die Schmerzen strahlen oft in benachbarte und antagonistische Zähne aus und können sich ausbreiten.

Die Einwirkung thermischer, mechanischer und chemischer Reize führt zu einer lang anhaltenden Schmerzattacke, die auch nach Beseitigung des Reizes nicht nachlässt.

3D-Animation: Akute irreversible Pulpitis

Die chronische Pulpitis ist durch eine Nichtübereinstimmung zwischen der milden Intensität des Schmerzsymptoms und dem hohen Ausmaß der Zahnzerstörung gekennzeichnet. Der Patient klagt über lang anhaltende Schmerzen bei Reizeinwirkung, spontane und nächtliche Schmerzen treten normalerweise nicht auf.

3D-Animation: Chronische irreversible Pulpitis

Therapie

Die akute irreversible Pulpitis, die mit spontanen Schmerzen einhergeht, ist ein Zustand, der eine Notfallbehandlung erfordert.

Die endodontische Behandlung umfasst eine vollständige Entfernung der Pulpa, eine mechanische und medikamentöse Aufbereitung der Wurzelkanäle sowie deren dichte Obturation mit anschließender Zahnrestauration.

Bei bleibenden Zähnen mit unvollständiger Wurzelbildung sind Revaskularisation und Apexogenese möglich.

Falls die Prognose der endodontischen Behandlung unbefriedigend ist, sollte der Zahn entfernt werden.

FAQ

1. Was ist eine irreversible Pulpitis?

Irreversible Pulpitis ist eine Entzündung der Zahnpulpa, die auch nach Beseitigung der Ursache für die Entzündung nicht abklingt.

2. Was sind die wichtigsten Ursachen für eine irreversible Pulpitis?

• Tiefe Karies, die in die Pulpa eindringt.
• Zahntrauma (mechanisch, okklusal, orthodontisch).
• Iatrogene Faktoren (Präparation ohne Kühlung, schlechte Isolierung des Arbeitsfeldes, Verwendung toxischer Materialien).

3. Wie manifestiert sich eine akute irreversible Pulpitis?

• Auftreten von spontanen, anfallsartigen, oft nicht lokalisierten Schmerzen.
• Die Schmerzen sind stumpf, nagend, quälend, lang anhaltend, manchmal brennend und pulsierend, sie können sehr stark sein und unerträglich werden.
• Die Schmerzen strahlen oft in benachbarte und antagonistische Zähne aus und können sich ausbreiten.

4. Welche Symptome sind für eine chronische irreversible Pulpitis kennzeichnend?

• Lang anhaltende (länger als 5 Sekunden) Schmerzen bei Temperaturreizen, oft weniger stark als bei einem akuten Prozess.
• Erhebliche Zahnzerstörung mit geringen Beschwerden.
• In der Regel fehlen spontane und/oder nächtliche Schmerzen.

5. Wie wird irreversible Pulpitis behandelt?

• Endodontische Behandlung (Entfernung der Pulpa, mechanische und medikamentöse Aufbereitung der Wurzelkanäle, Wurzelkanalfüllung und Zahnrestauration).
• Bei Zähnen mit unvollständiger Wurzelbildung können Revaskularisation und Apexogenese eingesetzt werden.
• Ist eine Restauration nicht möglich, kann der Zahn entfernt werden.

6. Kann irreversible Pulpitis ohne Entfernung der Pulpa erfolgreich bekämpft werden?

Nein. Da die Entzündung irreversibel ist, ist die Pulpa bereits geschädigt und kann nicht mehr erhalten werden. Die einzige Behandlungsoption ist die Entfernung des betroffenen Gewebes.

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