Pathologische Schlängelung der Halsschlagadern: Ätiologie, Pathogenese, Klassifikation, Diagnostik, Therapie
Als pathologische Schlängelung der Halsschlagadern wird eine Veränderung des normalen geraden Gefäßverlaufs bezeichnet, die sich in Form von Knickbildung (Kinking), Schlingenbildung (Coiling) oder spiralförmiger Schlängelung äußert. Sie kann sowohl an der A. carotis interna (innere Halsschlagader, ACI) als auch an der A. carotis communis (gemeinsame Halsschlagader, ACC) vorkommen, häufiger jedoch im extrakraniellen Abschnitt der ACI.
- Die Inzidenz liegt laut Ultraschalluntersuchungen und Angiographie zwischen 10 % und 40 % in verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
- Frauen, insbesondere in höherem Alter, sind häufiger betroffen.
- Die Wahrscheinlichkeit nimmt mit dem Alter zu, da die Elastizität der Gefäße und die Verlängerung der Arterien abnehmen.
- Die Veränderungen sind häufiger einseitig, können aber auch beidseitig vorkommen.
Ätiologie
Die Entstehung einer pathologischen Schlängelung der Halsschlagadern ist multifaktoriell bedingt und umfasst folgende Ursachen:
Angeborene Ursachen:
- Insuffizienz der Bindegewebsstrukturen der Gefäßwand
- Syndrome: Marfan-Syndrom (Mutation im Fibrillin-1-Gen), Ehlers-Danlos-Syndrom (insbesondere seine vaskuläre Form, die mit Defekten im Kollagen III einhergeht), Loeys-Dietz-Syndrom (mit Mutationen in den Genen des TGF-β-Signalwegs verbunden)
- angeborene Arterienverlängerung bei normaler Halsgröße
- Auftreten bei mehreren Familienmitgliedern, was auf einen möglichen autosomal-dominanten oder polygenen Erbgang hinweist.
Erworbene Faktoren:
- arterielle Hypertonie (sie führt zu einer erhöhten Belastung der Gefäßwand und ihrer Verlängerung)
- Atherosklerose (sie führt zu einem Gefäßumbau)
- altersbedingte Veränderungen (Elastizitätsverlust, Fibrose und Verlängerung der Arterien)
- Adipositas, insbesondere bei Frauen (mögliche Verlagerung anatomischer Strukturen)
- Iatrogene Faktoren (nach Halsoperationen oder Gefäßprothetik)
Pathogenese
Mit zunehmendem Alter und/oder bei bestimmten Krankheiten (Bluthochdruck, Atherosklerose, Diabetes) kommt es zu einer Degeneration der Arterienwände:
- Degeneration der elastischen Fasern in der mittleren Schicht
- Fragmentierung und Umbau der Kollagenstrukturen in der äußeren Schicht
- erhöhte Steifigkeit der Arterienwand
- Schwächung der Verankerung des Gefäßes in den umgebenden Geweben
Als Folge wird die Arterie weniger widerstandsfähig gegen Biegungen und Verformungen, und bei erhöhtem Druck wird sie länger und weniger geradlinig.
Allerdings stellen manche Autoren in ihren Studien den Zusammenhang zwischen arterieller Hypertonie und anderen kardiovaskulären Risikofaktoren bei der Entstehung der Schlängelung der Halsschlagadern in Frage.
Pathologische Schlängelung (erworben und angeboren) führt zu Veränderungen der Hämodynamik im Arterienbett:
- Verlängerung der Arterie → Bildung eines S- oder U-förmigen Verlaufs, Schlingenbildung
- Unterbrechung des laminaren Blutflusses → Turbulenz, verminderter Perfusionsdruck, verminderte Effizienz der Sauerstoffzufuhr
- bei bestimmten Kopfpositionen: dynamische Beeinträchtigung des Blutflusses
- in Kombination mit atherosklerotischen Plaques: erhöhtes Risiko einer transitorischen ischämischen Attacke
Klassifikation
- Nach Lokalisation: A. carotis interna (innere Halsschlagader, ACI), A. carotis communis (gemeinsame Halsschlagader, ACC)
- Nach Herkunft: angeboren, erworben
Klassifikation nach Morphologie:
Schlängelung (Tortuosität) | Eine lange, sanft gewellte Biegung der Arterie ohne spitzen Winkel. Meistens asymptomatisch, häufiger bei älteren Menschen vorkommend. |
Schlingenbildung (Coiling) | Eine Schleife mit einer fast vollständigen Drehung des Gefäßes; die Arterie wird länger und dreht sich um sich selbst. Dies kann häufig eine mäßige Verringerung des Blutflusses verursachen. |
Knickbildung (Kinking): S-förmig, C-förmig | Eine scharfe winklige Biegung der Arterie (meist < 90°), oft verschiebbar, mit eventueller Störung des Blutflusses. Die wichtigste klinisch relevante Variante, besonders beim Drehen des Kopfes. |
3D-Modelle der pathologischen Tortuosität von Halsschlagadern:
Symptome
Die meisten Fälle sind asymptomatisch und werden zufällig entdeckt. Bei einigen Patienten kann die Schlängelung jedoch klinisch relevant sein:
- Schwindel, Präsynkope (oft beim plötzlichen Drehen des Kopfes)
- transitorische ischämische Attacken
- Ohrgeräusch, Gangunsicherheit
- Konzentrations- und Gedächtnisschwäche
- pulsierende Masse am Hals
- Schluckstörung, Heiserkeit
Diagnostik
- Duplex-Sonographie (Grundlage des Screenings):
- Einschätzung des Gefäßverlaufs, der Fließgeschwindigkeit
- mögliche Anzeichen: Krümmung, Turbulenz, Alias-Effekt
- Stenosekriterien sind nicht immer anwendbar (im Gegensatz zur Atherosklerose)
- CT-Angiographie:
- Visualisierung des Arterienverlaufs
- Klärung des Verformungsgrades und des Bezugs zu den umliegenden Strukturen
- bei der Planung von Operationen obligatorisch
- MR-Angiographie:
- Alternative zur CT-Angiographie bei Kontraindikationen für Kontrastmittel
- Informativ, aber weniger empfindlich für kleine Bereiche mit Turbulenzen
- Perfusionsszintigraphie des Gehirns bzw. SPECT:
- bei Zweifeln an der funktionellen Bedeutung (selten eingesetzt)
Behandlung der pathologischen Schlängelung der Halsschlagadern
Konservative Behandlung
Änderung von Risikofaktoren:
- Blutdruckkontrolle
- Verringerung des Körpergewichts
- Korrektur des Lipidprofils und Reduktion von Entzündungsfaktoren
- Rauchstopp
Medikamentöse Therapie (sie beeinflusst nicht das Vorliegen einer Schlängelung, hilft aber bei der Prävention von Komplikationen)
- Thrombozytenaggregationshemmer
- Blutdrucksenkende Medikamente
- Bei Störungen des Lipidprofils und bei Vorliegen von Atherosklerose: Statine
- Bei Patienten, die keine Symptome aufweisen, ist die medikamentöse Behandlung präventiv.
Chirurgische Behandlung
Indikationen:
- symptomatische Schlängelung mit nachgewiesener Störung der Hirndurchblutung
- Episoden transitorischer Ischämie in Abhängigkeit von der Kopfposition
- Kombination von Schlängelung mit hämodynamisch signifikanter Stenose
- Unwirksamkeit der medikamentösen Therapie bei funktionell bedeutsamem Kinking
Kontraindikationen:
- asymptomatischer Verlauf
- schwere Komorbiditäten
- ausgeprägte Kalzinose und hohe Risiken
Am häufigsten wird der zervikale Standardzugang zum extrakraniellen Segment der A. carotis interna oder der A. carotis communis (Längsschnitt am vorderen Rand des Musculus sternocleidomastoideus) eingesetzt.
Liegt die Bifurkation hoch, kann ein erweiterter Zugang mit Mobilisierung oder teilweisem Durchtrennen des oberen Randes des Musculus sternocleidomastoideus erforderlich sein.
Hauptmethoden der chirurgischen Korrektur
1. Resektion (Entfernung) des geschlängelten Segments und Nähen mit End-zu-End-Anastomose
- Sie erfordert eine ausreichende Gefäßlänge ohne Spannung der Anastomose.
2. Carotis-Endarteriektomie mit Begradigung der Arterie
- Sie wird bei Kombination von Schlängelung und Atherosklerose eingesetzt.
- Sie kann klassisch oder als Eversionsendarteriektomie durchgeführt werden.
- Nach der Plaque-Entfernung wird die Arterie in einer geraderen Position reimplantiert.
3. Transposition der A. carotis interna
- Entfernung der gewundenen Mündung der ACI und Reimplantation in ein proximaleres Segment der ACC
- Einsatz bei starker Schlängelung oder Unmöglichkeit der Resektion mit direkter Anastomose
4. Arterienersatz (Prothetik)
- Er wird eingesetzt, wenn die Enden nach einer Resektion nicht verbunden werden können.
- Es werden synthetische Prothesen oder körpereigene Venentransplantate verwendet.
- Er stellt ein Reserveverfahren dar und wird selten eingesetzt, häufiger jedoch bei wiederholten Eingriffen.
Intraoperative Überwachung
- Intraoperative Doppler-Sonographie: Bewertung der Blutflussgeschwindigkeit vor und nach der Rekonstruktion.
- Bypass-Operation: vorübergehende Umgehung bei der Rekonstruktion der Halsschlagader, wenn ein hohes Risiko einer zerebralen Ischämie besteht.
- Neuromonitoring: falls möglich, insbesondere bei einer OP an der einzigen funktionsfähigen ACI.
FAQ
1. Was ist eine pathologische Schlängelung der Halsschlagader?
2. Ist die Schlängelung der Halsschlagader gefährlich?
3. Was ist der Unterschied zwischen Schlängelung, Schlingen- (Coiling) und Knickbildung (Kinking)?
4. Warum kommt es zur Schlängelung einer Arterie?
5. Kann eine Schlängelung der Halsschlagader Symptome verursachen?
6. Wie wird die Diagnostik durchgeführt?
7. Wann ist eine Operation erforderlich?
8. Wie wird eine Operation bei einer Schlängelung der Halsschlagader durchgeführt?
9. Kann der Entstehung von Schlängelung vorgebeugt werden?
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