Aortendissektion: Ätiologie, Pathogenese, Klassifikation, Diagnostik, Behandlungsmethoden

Bei einer Aortendissektion handelt es sich um einen akuten Zustand, der durch einen Riss in der inneren Schicht (Intima) der Aorta mit anschließendem Eindringen von Blut in die mittlere Schicht (Media) und Bildung eines falschen Lumens gekennzeichnet ist. Dieses Krankheitsbild geht mit einem hohen Risiko für Aortenruptur, akute Organischämie und tödliche Folgen einher und erfordert eine Schnelldiagnostik und eine dringende Behandlung.

Dissektion der Aorta ascendens mit Beteiligung der Äste des Aortenbogens
Dissektion der Aorta ascendens mit Beteiligung der Äste des Aortenbogens: 3D-Modell

Epidemiologie

  • Inzidenz: 3–6 Fälle pro 100.000 Menschen pro Jahr. Autopsiedaten deuten jedoch darauf hin, dass die tatsächliche Prävalenz höher ist.
  • Geschlecht: Männer sind häufiger betroffen als Frauen (≈ 2:1).
  • Alter: Erkrankungsgipfel: im Alter von 60–70 Jahren (bei sporadischen Formen); syndromale Formen (z. B. Marfan-Syndrom): im jungen Erwachsenenalter (20–40 Jahre).
  • Geografie/ethnische Herkunft: Afroamerikaner weisen ein früheres Erkrankungsalter und eine höhere Sterblichkeit auf; die Inzidenz ist in Ländern mit schlecht kontrollierter arterieller Hypertonie höher.

Ätiologie

  • Arterielle Hypertonie: Hauptfaktor (bis zu 80 % der Fälle).
  • Atherosklerose: Schwächung der Intima aufgrund von Entzündungen und Verletzungen.
  • Hereditäre Erkrankungen des Bindegewebes: Marfan-Syndrom (gestörte Fibrillinsynthese); Ehlers-Danlos-Syndrom (Bindegewebsschwäche); Loeys-Dietz-Syndrom (Mutationen in den TGF-β-Genen).
  • Bikuspide Aortenklappe.
  • Koarktation der Aorta.
  • Schwangerschaft (insbesondere im 3. Trimenon).
  • Iatrogene Faktoren: Katheterisierung, chirurgische Eingriffe.
  • Traumata (Hochenergieverletzungen, häufiger im Bereich des Brustkorbs).
  • Entzündliche Erkrankungen (Vaskulitis), z. B. Riesenzellarteriitis.
  • Infektionen (z. B. Syphilis oder mykotische Läsionen).

Pathogenese

  • Primäres Bindeglied: Ruptur der Aortenintima durch einen hohen systolischen Druck oder eine Störung der strukturellen Integrität der Wand.
  • Eindringen von Blut in die Media (mittlere Schicht) → Bildung eines falschen Kanals zwischen den Schichten der Aortenwand.
  • Längsausbreitung der Dissektion: proximal oder distal vom Ort der primären Ruptur, oft unter Beteiligung von Aortenästen.
Lappen der abgelösten Intima distal der Mündung der linken A. subclavia, falsches und echtes Lumen
Lappen der abgelösten Intima distal der Mündung der linken A. subclavia, falsches und echtes Lumen: 3D-Modell

Mögliche Folgen:

  • Kompression des echten Lumens → Organischämie (Nieren, Leber, Darm, Extremitäten, Gehirn).
  • Bei Ausbreitung auf die Aortenwurzel kann es zu einer akuten Aortenklappeninsuffizienz oder einer akuten Myokardischämie mit Beteiligung der Mündungen der Koronararterien kommen.
  • Ruptur der äußeren Schicht (Adventitia) → massive Blutung in die Hohlräume (Herzbeutel, Pleura, Retroperitoneum).
  • Bildung von Wiedereintrittsöffnungen: Erhaltung der Zirkulation im falschen Kanal.

Umbaumarker:

  • Aktivierung von Metalloproteinasen (MMP-2, -9), Kollagen- und Elastinabbau.
  • Endotheliale Dysfunktion und Entzündungsreaktion (TNF-α, IL-6).

Klassifikation der Aortendissektion

Klassifikation nach Stanford

  • Typ A: Die Aorta ascendens (aufsteigender Teil der Aorta) ist betroffen (mit oder ohne Beteiligung des Aortenbogens).
  • Typ B: Der Riss liegt in der Aorta descendens (absteigender Teil der Aorta).

Da bei dieser Einteilung isolierte Läsionen des Aortenbogens oder Läsionen des Bogens in Kombination mit der Aorta descendens nicht berücksichtigt wurden, wurde 2019 das Konzept eines dritten Typs, Non-A-non-B-Dissektion, vorgeschlagen.

Klassifikation nach DeBakey

  • Typ I: Dissektion von der Aorta ascendens bis zum Aortenbogen oder darunter.
  • Typ II: Der Riss liegt in der Aorta ascendens.
  • Typ III: Verletzung nur der Aorta descendens (IIIa: bis zum Zwerchfell, IIIb: Die Dissektion reicht bis unter das Zwerchfell).

3D-Modelle der Aortendissektion:

Nach zeitlichem Verlauf

  • Akut: innerhalb von 14 Tagen nach Auftreten der ersten Symptome.
  • Subakut: 15 bis 90 Tage.
  • Chronisch: über 90 Tage.

Symptome

Die Symptomatik hängt von der Lokalisation der Dissektion, dem Grad der Beteiligung der Aortenäste und dem Vorliegen von Komplikationen ab.

  • Akute Schmerzen: scharfe, berstende, stichartige Schmerzen, die wandernd sein können, die Lokalisation hängt von der Risslage ab (Typ A: Brust- oder Rückenschmerzen; Typ B: Lenden- oder Bauchschmerzen).
  • Hypotonie oder Schock mit massiver Blutung.
  • Asymmetrie von Puls und Blutdruck in den Armen.
  • Neurologische Störungen: Schwäche, Bewusstlosigkeit, Symptome einer zerebralen Ischämie.
  • Herzsymptome: akuter Myokardinfarkt (Beteiligung der Koronararterien), akute Aortenklappeninsuffizienz.
  • Niereninsuffizienz: Durchblutungsstörung der Nieren (Oligurie/Anurie).
  • Darmischämie: Bauchschmerzen, blutige Diarrhö.
  • Herztamponade mit Blutung in die Herzbeutelhöhle.
  • Akute Ischämie der Extremitäten aufgrund eines Arterienverschlusses.

Diagnostik

Körperliche Untersuchung (Blutdruckdifferenz in den Extremitäten; Pulsdefizit; Aortenregurgitationsgeräusch).

Laboruntersuchungen:

  • Erhöhter D-Dimer-Wert in den ersten Stunden.
  • Biomarker für Herzmuskelschäden (Troponin, CK-MB).
  • Leber- und Nierenwerte, Laktat: bei einer Organischämie.
  • Großes Blutbild, klinische Chemie: Anämie, Entzündung.

Instrumentelle Untersuchungen:

  • CT-Angiographie (Goldstandard): hohe Sensitivität und Spezifität (>> 95 %). Schnelle und präzise. Erkennung von Dissektionen, Erkennung von falschen und echten Kanälen, primärem Eintritt, Ausdehnung der Dissektion, Bereichen mit Malperfusion.
  • Transösophageale Echokardiographie (TEE): hohe Sensitivität, insbesondere bei Typ A. Das Verfahren ermöglicht die Beurteilung des Intimalappens, der Größe der Aorta ascendens, der Aorteninsuffizienz, der Anzeichen einer Ischämie und des Herzbeutelergusses.
  • MRT: Alternative zu CT bei chronischer Dissektion oder Kontraindikationen für Kontrastmittel. Hohe Sensitivität, insbesondere für die Verlaufsbeurteilung.

Therapie der Aortendissektion

Konservative Behandlung (häufiger bei Typ B):

Antihypertensive, antianginöse und lipidsenkende Therapie sind in diesem Fall optimal. In der Akutphase ist eine ständige Überwachung auf der Intensivstation erforderlich.

  • β-Blocker (Esmolol, Metoprolol) als Primärtherapie: Senkung der Herzfrequenz und des dP/dt-Wertes (Verringerung der Kraft und Geschwindigkeit, mit der das Blut auf die Wand einwirkt).
  • Natrium-Nitroprussid, Urapidil, Clonidin, Nitroglycerin: Senkung des Blutdrucks (nach β-Blockern) auf 100–120 mmHg.
  • Morphin: Schmerzlinderung und Verringerung der sympathischen Aktivität.

Für stabile, unkomplizierte Typ-B-Dissektionen:

  • Kontrolle von Blutdruck und Herzfrequenz.
  • Regelmäßige Überwachung (CT-/MR-Kontrolle).
  • Sekundärprävention: Behandlung mit Antihypertensiva, Änderung von Risikofaktoren (Rauchen, Cholesterin, Diabetes mellitus).

Chirurgische Behandlung (häufiger bei Typ A):

  1. Offene Operation (in der Regel unter Verwendung einer Herz-Lungen-Maschine und Hypothermie).
  • Das betroffene Aortensegment wird reseziert mit anschließendem Annähen der Prothese.
  • Wenn der Aortenbogen betroffen ist, wird der Truncus brachiocephalicus in die Prothese replantiert. Ist jedoch auch der Truncus brachiocephalicus selbst beeinträchtigt, sollte er ebenfalls ersetzt werden.
  • Wenn die Aortenklappe betroffen ist, wird ein Aortenklappenersatz durchgeführt. Manchmal ist auch die Durchführung einer klappenerhaltenden Operation möglich.
  • Bei Ausbreitung auf die Mündungen der Koronararterien kann eine Replantation oder eine koronare Bypass-Operation durchgeführt werden.
  • In einigen Fällen kann bei einer Ausbreitung auf den Aortenbogen und die Aorta descendens eine Hybridprothese (der sogenannte Frozen Elephant Trunk) eingesetzt werden.
  1. Endovaskulärer Eingriff (TEVAR): Zur Isolierung des falschen Lumens wird ein Stentgraft eingesetzt (insbesondere bei Organfehlfunktion). Geeignet für stabile Patienten mit Komplikationen oder Typ-B-Dissektion mit unkontrolliertem Bluthochdruck/Schmerzen und/oder Rupturrisiko.
  2. Wenn die Aorta reißt oder sich eine Herztamponade entwickelt, ist eine Notoperation erforderlich.

FAQ

1. Was ist der Unterschied zwischen einer Aortendissektion und einem Aneurysma?

Ein Aneurysma ist eine Erweiterung der Aortenwand, während eine Dissektion einen Riss in der inneren Schicht der Aorta darstellt, bei dem Blut zwischen die einzelnen Wandschichten eindringt und einen falschen Kanal bildet.

2. Was sind die ersten Symptome einer Aortendissektion?

Das typischste Symptom sind plötzliche, reißende Schmerzen in der Brust oder im Rücken, die oft „wandernd“ sind. Ohnmacht, Taubheitsgefühl in den Extremitäten, Kurzatmigkeit, Schwäche oder Schlaganfall-Symptome können auftreten.

3. Wie gefährlich ist eine Aortendissektion?

Das ist ein lebensbedrohlicher Zustand. Ohne Behandlung liegt die Sterblichkeitsrate bei einer Aortendissektion (Typ A) in den ersten 48 Stunden bei bis zu 50 %. Ein rechtzeitiger Eingriff verringert das Risiko erheblich.

4. Wer zählt zu Risikogruppen?

Patienten mit arterieller Hypertonie, Marfan-Syndrom, Aortenaneurysma, kürzlichen Dissektionen, schwangere Frauen (im 3. Trimenon), männliche Raucher über 60 Jahre alt.

5. Ist eine Operation erforderlich?

Wenn die Aorta ascendens (Typ A) betroffen ist, ist eine Operation fast immer notwendig. Bei der Dissektion der Aorta descendens (Typ B) ist eine Operation nur im Falle von Komplikationen (Schmerzen, Ischämie, Ruptur usw.) erforderlich.

6. Welcher Blutdruck gilt als ungefährlich?

Zielwerte: systolischer Blutdruck < 120 mmHg, Pulsfrequenz 50–60 Schläge pro Minute. Betablocker sind Mittel der ersten Wahl für eine lebenslange Kontrolle.

7. Können meine Verwandten gefährdet sein?

Ja, insbesondere wenn Sie eine Erbkrankheit des Bindegewebes haben (Marfan-Syndrom, Loeys-Dietz-Syndrom usw.). Für Ihre Angehörigen werden eine genetische Beratung und routinemäßige Screening-Ultraschall- oder CT-Untersuchungen empfohlen.

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