Periapikale Zyste: Ätiologie, Anatomie, klinisches Bild und Behandlungsmethoden

Die periapikale (radikuläre) Zyste ist eine pathologische Kavität im Bereich der Zahnwurzelspitze mit flüssigem Inhalt und einer Auskleidung aus mehrschichtigem unverhorntem Plattenepithel und stellt eine Form der chronischen apikalen Parodontitis dar.

Periapikale Zyste im Bereich der distalen Wurzel des unteren Molaren
Periapikale Zyste im Bereich der distalen Wurzel des unteren Molaren: 3D-Modell

Ätiologie

Die Ursache für die Entstehung von periapikalen Zysten ist eine mikrobielle Infektion des Wurzelkanalsystems eines Zahns. Zu den wichtigsten Zellen, die an der Entstehung derartiger Läsionen beteiligt sind, gehören die Zellen der chronischen Entzündung und die Malassez-Epithelreste, bei denen es sich um die epithelialen Zellüberbleibsel der Hertwig-Epithelscheide bei der Zahnbildung handelt. Diese Epithelzellen können als unipotente Stammzellen eingestuft werden.

Während der Entzündungsreaktion werden im Gewebe um die Wurzelspitze herum Wachstumsfaktoren und Zytokine freigesetzt, die eine Proliferation der Malassez-Epithelreste verursachen.

Es gibt mehrere Theorien für die Entstehung von apikalen Zysten.

Nährstoffmangeltheorie

Im Laufe des Wachstums der Epithelinseln entfernen sich ihre zentralen Zellen von der Ernährungsquelle und werden dadurch nekrotisch. Die angesammelten Gewebeabbauprodukte ziehen neutrophile Granulozyten in die nekrotische Zone, wodurch sich die Zystenhöhle aus mehreren Mikrohohlräumen bildet, die mit mehrschichtigem Plattenepithel ausgekleidet ist.

Abszesstheorie

Bei der Bildung eines Abszesses im Bindegewebe kommt es zu einer Proliferation von Epithelzellen, die die Abszesshöhle bedecken, da sie dazu neigen, freiliegende Bindegewebsbereiche zu füllen.

Theorie der Verschmelzung der epithelialen Stränge (entzündliche Hyperplasie)

Das Epithelgewebe in Form von chaotisch angeordneten Strängen proliferiert im apikalen Granulom. Die epithelialen Stränge verschmelzen zu einem dreidimensionalen, kugelförmigen Gefüge aus fibrovaskulärem Bindegewebe, das Entzündungszellen enthält. Danach degeneriert es aufgrund der mangelnden Blutversorgung und es bildet sich eine Zystenhöhle. Die Zystenflüssigkeit bildet sich aus dem Kapillarnetz des Granuloms durch Transsudation und Exsudation des flüssigen Blutanteils und infolge des Abbaus der Blutzellen.

Die das Epithel der Zystenhöhle auskleidenden Zellen können sich ohne Stimulation durch Zytokine und Wachstumsfaktoren nicht selbständig vermehren.

Mit der Zeit können Zysten langsam wachsen, wahrscheinlich aufgrund des Abbaus der fibrösen Bindegewebskapsel, der Matrix-Metalloproteinasen und der Resorption des umgebenden Knochens. Entzündungsmediatoren und Zytokine stimulieren die Proliferation von Epithelzellen und vermitteln die Knochenresorption in den Herden der apikalen Parodontitis. Die Malassez-Epithelreste können auch knochenresorbierende Faktoren absondern.

Durch die Beeinträchtigung der umliegenden Strukturen kann die Zyste die Wurzeln der angrenzenden Zähne auseinanderdrücken, eine externe Resorption der Zahnwurzeln begünstigen, die Wand der Kieferhöhle zurückschieben, verformen oder zerstören und direkt in die Kieferhöhle eindringen. Ohne Therapie können periapikale Zysten einen erheblichen Teil des angrenzenden Knochengewebes zerstören. Dabei kann sich der Prozess auf den Körper und den Unterkieferast ausbreiten und zu einer pathologischen Fraktur des Unterkiefers führen. Außerdem kann es im Laufe der Zeit zu einer Abszedierung der Zyste kommen.

Klassifikation

  • Echte periapikale Zyste: Ihr Lumen ist vollständig mit Epithel ausgekleidet und hat keine Verbindung zum Wurzelkanal.
3D-Animation: Echte periapikale Zyste
  • Taschenzyste („pocket cyst“, Stauungszyste): Ihr Lumen ist mit dem Wurzelkanal des betroffenen Zahns verbunden.
3D-Animation: Taschenzyste

Anatomie

Der betroffene Zahn kann folgende Merkmale aufweisen:

  • Eine tiefe kariöse Kavität, die in die Zahnpulpa eindringt.
  • Eine fehlerhafte Zahnrestauration, die dem Pulpagewebe anliegt.
  • Traumaanzeichen (Risse, Absplitterungen im Dentin, Freilegung der Pulpa).

Die Zahnpulpa ist nekrotisch, gelblich-grau oder grau-schwarz gefärbt. In der periapikalen Region befindet sich ein Herd der Zerstörung der Wurzelhaut und des Knochengewebes. Die periapikale Zyste selbst ist rundlich oder ovalförmig, befindet sich im Bereich der Zahnwurzelspitze und besteht aus folgenden Elementen:

  • Die Bindegewebskapsel, die alle zellulären Elemente enthält, die in apikalen Granulomen vorkommen.
  • Die Epithelauskleidung, die aus hyperplasischem, mehrschichtigem unverhorntem Plattenepithel besteht. Sie kann kontinuierlich oder diskontinuierlich sein oder in einigen Bereichen ganz fehlen. Manchmal besteht die Auskleidung aus Flimmerepithel. Sowohl das Auskleidungsepithel als auch die Kapsel sind in der Regel mit Entzündungszellen infiltriert.
  • Die Höhle (das Lumen) einer Zyste mit einer strohfarbenen, opaleszierenden Flüssigkeit, die entzündliches Exsudat, Cholesterinkristalle, abgestorbene Epithelzellen, Reste von resorbiertem Knochen oder Bakterienkolonien enthalten kann.
Anatomie einer echten periapikalen Zyste: Sagittalschnitt
Anatomie einer echten periapikalen Zyste: Sagittalschnitt: 3D-Modell
Anatomie einer Taschenzyste („pocket cyst“, Stauungszyste): Sagittalschnitt
Anatomie einer Taschenzyste („pocket cyst“, Stauungszyste): Sagittalschnitt: 3D-Modell

Diagnostik

  • Erhebung von Beschwerden und Anamnese.
  • Klinische Untersuchungsmethoden: visuelle Inspektion, Perkussion, Palpation der Umschlagfalte.
  • Thermischer Test, elektrischer Pulpatest.
  • Röntgenografie (intraorale Kontaktradiografie, Radiovisiografie, Orthopantomografie, Kegelstrahl-Computertomografie): kariöse Kavität, Restauration oder traumatischer Defekt, die in die Pulpakammer eindringen, Aufhellung im Bereich der Wurzelspitze (ein strahlendurchlässiger, abgerundeter oder ovalförmiger Bereich, scharf begrenzt, peripher kann ein röntgendichter Rand erkennbar sein). Die Wurzeln der an die Läsion angrenzenden Zähne können abgewichen oder verkürzt sein.

Derzeit gibt es keine nicht invasiven Diagnoseverfahren, um ein Granulom von einer Zyste präzise zu unterscheiden. Die Größe der Aufhellung an der Wurzelspitze kann röntgenologisch nur als indirekter Anhaltspunkt dienen: Bei einer Größe zwischen 10 und 20 mm liegt die Wahrscheinlichkeit einer Zyste bei bis zu 60 %; bei einer Größe von mehr als 200 mm2 liegt die Wahrscheinlichkeit bei nahezu 100 %. Eine endgültige Diagnose ist jedoch nur nach einer chirurgischen Biopsie oder einer Zahnextraktion möglich.

Symptome

In der Regel hat der Patient keine Beschwerden. Meistens sind Zysten ein Zufallsbefund bei der Röntgenuntersuchung. Der Patient kann sich über Schwellungen im Unter- oder Oberkiefer, auf der vestibulären oder palatinalen Seite beschweren. Visuell lassen sich im Zahn eine tiefe kariöse Kavität, eine Restauration oder ein traumatischer Defekt erkennen, die in die Pulpakammer eindringen. Die Perkussion des Zahns ist schmerzfrei, die Palpation der Übergangsfalte ist ebenfalls schmerzfrei.

Es kann eine halbkugelförmige, dichte und druckschmerzfreie Schwellung des Kiefers entstehen, die Schleimhaut ist in diesem Bereich visuell unauffällig. Wenn die kortikale Lamelle im Läsionsbereich verdünnt ist, kann es beim Drücken zu einer Krepitation des Knochens im Bereich der Vorwölbung kommen. Wenn die kortikale Lamelle des Kiefers zerstört ist, kann bei der Perkussion des betroffenen Zahns palpatorisch in der Projektion der Wurzelspitze das Symptom der Fluktuation wahrnehmbar sein. Ist die Zyste im Bereich der Oberkieferschneidezähne lokalisiert, kann es zu einer Vorwölbung der unteren Wand der Nasenhöhle kommen (Gerber-Wulst).

Der betroffene Zahn reagiert weder auf thermische noch auf elektrische Reize (ein wichtiges Diagnosekriterium bei einer radiologischen Aufhellung in der periapikalen Region mehrerer Zähne).

Therapie

Bis heute liegen keine direkten Beweise dafür vor, ob sich periapikale Zysten nach einer nicht chirurgischen endodontischen Behandlung zurückbilden können. In Anbetracht der möglichen pathogenetischen Mechanismen könnte das Epithelwachstum nach Beseitigung des stimulierenden bakteriellen Faktors, z. B. nach einer endodontischen Behandlung, aufhören. Anschließend kann sich die Epithelauskleidung verdünnen oder verschwinden, sodass die Voraussetzungen für eine Heilung geschaffen werden.

Daher wird als erster Schritt die endodontische Behandlung des Zahns durchgeführt: Entfernung der abgestorbenen Pulpa oder des alten Füllungsmaterials aus den Wurzelkanälen, ihre mechanische und medikamentöse Aufbereitung. Bei der instrumentellen Wurzelkanalaufbereitung wird die Zyste indikationsbezogen intrakanalär punktiert. Danach erfolgt eine dichte Obturation der Wurzelkanäle mit anschließender Zahnrestauration.

Bei einer großen Zyste (über 3 cm) kann indikationsbezogen eine Dekompression durchgeführt werden: Größenverminderung der Zyste mittels eines chirurgischen Schnitts durch die Zystenwand und der Einführung einer Drainage oder einer extrakanalären Aspiration und Spülung durch Punktion der Zyste mit zwei Nadeln großen Durchmessers, Aspiration des Inhalts und Spülung mit steriler physiologischer Kochsalzlösung.

Falls der periapikale Herd später nicht abgeheilt ist, wird eine Entkernung der Zyste durch periapikale Kürettage, Wurzelspitzenresektion mit retrograder Füllung oder Wurzelamputation mit gleichzeitiger Entfernung der Zystenhülle durchgeführt.

Falls die Prognose der endodontischen Behandlung oder periapikalen Chirurgie unbefriedigend ist, sollte der Zahn entfernt werden.

FAQ

1. Was ist eine periapikale Zyste?

Bei einer periapikalen Zyste handelt es sich um eine chronische pathologische Neubildung, die infolge einer Pulpanekrose und einer periapikalen Entzündung um die Zahnwurzelspitze herum entsteht.

2. Was sind die Symptome einer periapikalen Zyste?

In den Frühstadien kann der Prozess asymptomatisch verlaufen. Wenn der Prozess fortschreitet, kann es zu einer Schwellung des Zahnfleisches, Unwohlsein, Schmerzen beim Aufbeißen, einer Dunkelfärbung des Zahns oder Fistelbildung kommen.

3. Wie wird eine periapikale Zyste behandelt?

Die Behandlung kann eine mechanische und medikamentöse Aufbereitung der Wurzelkanäle und deren Obturation, eine Zystotomie (Teilentfernung der Zyste) oder eine Zystektomie (vollständige Entfernung der Zyste mit Resektion der Wurzelspitze) umfassen.

4. Worin besteht die Gefahr einer unbehandelten periapikalen Zyste?

Bleibt die Zyste unbehandelt, kann sie sich vergrößern, das umliegende Knochengewebe zerstören, die Wurzeln der Nachbarzähne auseinanderdrücken und resorbieren, sich zu einem Abszess entwickeln, eine Komplikation wie Periostitis oder Osteomyelitis hervorrufen oder eine generalisierte Infektion verursachen.

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